Ästhetische Forschung nach Helga Kämpf-Jansen
15 Thesen:
Erläuterung:
Das Konzept der ästhetischen Forschung nach Helga Kämpf-Jansen löst die Grenzen dessen, was Kunst ist, zunehmend auf und operiert mit einem stark erweiterten Verständnis von Kunst. Die vornehmliche Orientierung am Subjekt, dessen Interessen und Neigungen, wirkt sich motivierend auf das Individuum aus. Dabei werden die unterschiedlichen Biografien und Erfahrungen der Schüler_innen in den Vordergrund gestellt und in einer zwangslosen Herangehensweise werden persönlich relevante Fragestellungen und Sinngebungen entwickelt, die dem Prinzip der Neugierde und ‚Ungeduld‘ (im Sinne von ‚etwas nicht dulden wollen‘ oder ‚nicht erdulden können‘, keine Gleichgültigkeit empfinden) Rechnung tragen. Zentraler Punkt dabei ist, dass die Fragestellung nicht von der Lehrkraft an die Schüler_innen herangetragen wird, sondern diese Fragen und Aufgabenstellung selber entwickeln, eigenständig planen und nach individuellem Zeitplan organisieren. Es ist dabei sehr wichtig, Freiräume zu gewähren, denn oft ist der Verlauf nicht plan- oder vorhersehbar. Die Relevanz dessen, was man tut, wird häufig erst im Prozess deutlich und kann somit nicht konkret zielgerichtet sein.
Der Prozess ist performativ: ständige Umformung und Bewegungen finden statt, Ansätze werden verworfen, Vorhandenes neu ausgelegt, an einem anderen Punkt angeknüpft, Differenzen werden festgestellt, nichts als selbstverständlich hingenommen und so herkömmliche Handlungsmuster aufgebrochen (das sogenannte „Umkippen des Blicks“ in den „anderen Blick“). Diese Vorgehensweise erfordert situationsbedingtes Reagieren und das Aushalten von Grenzerfahrungen und Gratwanderungen, Offenheiten und Unsicherheiten. So kann eine andere Wahrheit erfahren und ein Erkenntnisgewinn jenseits der Vernunft erreicht werden. Dieser interdisziplinär Zugang und dieses andere Begreifen von Welt wirken der Vereinseitlichung und Parzellierung entgegen, die wir häufig im Schulalltag finden und belassen die Dinge in ihrer Komplexität.
Sowohl Reales und Fiktives, Gegenstände, Gegebenheiten, belebte und unbelebte Umwelt, Momente und Situationen als auch Literatur oder Begriffe können Thema ästhetischer Forschung sein. Die Schüler_innen müssen sich des Potentials des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes bewusst werden. Der Ort der künstlerischen Auseinandersetzung hat dabei einen hohen ästhetischen Einfluss auf die Arbeit und muss von den Schüler_innen selbst gefunden werden. Zudem ist er oft Arbeits- und Ausstellungsort zugleich.
Verschiedenste Methoden kommen beim ästhetischen Forschen zum Einsatz: Beobachtung und Dokumentation (Sammeln, Sortieren…), ästhetische Verfahren (Kleben, Collagieren, Montieren, Ausschneiden, Malen, Skizzieren, Basteln, Nähen…), Fotografien, poetische Texte, Textauszüge, Befragungsergebnisse, Gesprächsaufzeichnungen usw. Auch die Wahl der Medien ist nicht beschränkt: Videotapes und computergenerierte Bilder kommen ebenso zum Einsatz wie Objektarrangements, Klangelemente oder Gegenstandsverfremdungen, die oft in multimedialen Installationen münden.
Das Sichern und Sichtbarmachen von Spuren erfolgt durch wissenschaftliche Methoden wie Befragen, Recherchieren, Analysieren, Kategorisieren, Dokumentieren, Archivieren, Präsentieren und Kommentieren. Hier lassen sich auch kunstgeschichtliche, kunstwissenschaftliche, kulturgeschichtliche oder designtheoretische Exkurse sowie Identitätstheorien und Geschlechterkonstruktionen, philosophische, psychoanalytische, anthropologische und religiöse Fragen einbringen. Auch aktuelle Kunst soll in hohem Maße rezipiert und auf deren Methoden zurückgegriffen sowie Bezüge zu ausgewählten Kunstwerken und Kunsttheorien hergestellt werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt der ästhetischen Forschung ist die fortlaufende Selbstreflexion und damit einhergehende Ich–Erfahrung. Das eigene Vorgehen wird genau betrachtet und hinterfragt und dabei eigene Zugänge ausgelotet, zum Beispiel in Form eines Tagebuches, von Sprachaufzeichnungen, visuellen Skizzen, Bildern oder Collagen.
Kämpf-Jansen, Helga (2002): Ästhetische Forschung. Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft. Zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung. Köln: Salon Verlag. S.274-277.